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AUSFLUG | EIN TAG ALS TOURIST IN DER EIGENEN HEIMATSTADT

„Der Mensch bereist die Welt auf der Suche nach dem, was ihm fehlt.
Und er kehrt nach Hause zurück, um es zu finden.“
(George Moore)

Die eigene Heimat erleben wir meist nur im Vorbeigehen. Zu gestresst vom Alltag, ziehen wir vorbei an die wunderschönen Gebäude unserer Altstadt, bahnen gehetzt unsere Wege durch die Innenstadt, vorbei an die unzähligen Passanten und Grüppchen von Touristen. Wir denken kaum darüber nach, wie die eigene Heimatstadt auf Außenstehende wirkt, bis wir sie einmal etwas genauer beobachten, die Touris mit ihren Rollköfferchen, Stadtplänen, Selfie-Sticks und Kameras. Ihre bewundernden Blicke, ihre echauffierte Haltung, darauf lauernd hinter jedem Eck das nächste Highlight aufzuspüren. Wie sie sich Stolz erfüllt vor jedem alten Bauwerk, das auch nur irgendwie bedeutend erscheint, fotografieren lassen. Wie sie die Schönheit jedes noch so kleinsten Details unserer Stadt in sich aufnehmen und genießen können. Etwas das wir als Einheimische in der eigenen Stadt schon längst verlernt haben, zu selbstverständlich sind uns diese Häuser und Plätze geworden. Ich kann mich aber noch gut daran erinnern, wie es war, als uns unsere Stadt 2003, im Zuge des Kulturhauptstadtjahres, unseren „Friendly Alien präsentierte. Damals, so umstritten die ungewöhnliche Form des neuen Kunsthauses auch war, gab es wieder etwas Neues zu bestaunen. Graz gewann damit eine architektonische Attraktion, die uns die Stadt wieder etwas bewusster und mit offeneren Augen wahrnehmen ließ. So war es natürlich auch dank der futuristisch gestalteten Murinsel. Eine auf der Mur schwimmende Muschel verband ab nun den Grazer Altstadtkern mit dem Mariahilferplatz, und sorgte dafür, dass ganz Europa seinen Blick auf uns richtete. Graz konnte sich damit endlich in die Riege von Städten wie etwa Prag oder Paris einreihen. Der Tourismus gewann enorme Zuwächse, die seit dem Kulturhauptstadtjahr 2003 auch noch nachhaltig anhalten. Im Vorjahr konnten wir in Graz stolze 1.080.409 Nächtigungen aufweisen. Aber können wir Grazer uns überhaupt noch gebührend an unseren Sehenswürdigkeiten und Attraktionen erfreuen? An unserer Universitätsstadt mit den roten Dächern, den barocken Bauten und idyllischen Innenhöfen? Es war an der Zeit einen Selbstversuch zu wagen…

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Mittwochmorgen, ich stand dort, wo ich schon tausende Male zuvor stand. Vor unserem Kunsthaus. Nur war ich heute nicht als Bewohnerin dieser Stadt, sondern als Touristin hier. Ob es möglich ist, von nun auf gleich in den Touri-Modus zu schalten, wusste ich an dieser Stelle noch nicht. Dennoch beschloss ich den Tag so zu starten wie alle Weltenbummler, die bereit sind große Abenteuer zu wagen, mit einem ausgiebigen Frühstück. Wie praktisch also, dass hier im Kunsthaus, eines der wohl besten Lokale der Stadt vorzufinden ist. Seit 2015 verleiht das Kunsthauscafé am rechten Murufer seinen Gästen wahrhaftes Großstadtflair. Durch die umfangreiche Speisekarte, sollte auch für jedermanns Geschmack etwas dabei sein. Übrigens – mit an Bord und mindestens genauso hungrig – Fotograf Stefan. Dieser erklärte sich im Vorfeld dazu bereit, die City-Adventure zu dokumentieren. Mahlzeit.

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Durchschnitts – Grazer beenden an dieser Stelle zumeist auch ihren Besuch im Kunsthaus. Wieso das so ist, weiß ich nicht, aber ich höre kaum einen Einheimischen sagen: „Gestern waren wir wieder mal im Kunsthaus.“ Die letzte Ausstellung habe ich hier vor Jahren besucht. Und ich weiß auch gar nicht mehr recht, wie das Herz unseres Aliens überhaupt aussieht. Ich bin sicherlich kein Kunstbanause, muss aber eingestehen, meine kulturellen Interessen gehören dringend etwas ausgebaut. Eine Initiative, die dieser Nachlässigkeit Einhalt gebietet, ist übrigens die Lange Nacht der Museen.  Nebenbei bemerkt, auch diese habe ich 2016 verpasst. Aber, ich lasse mich ja gern darauf ein, mir spätestens jetzt, als Tourist ja sowieso, ein bisschen zeitgenössische Kunst schmackhaft zu machen. Wir betraten also die heiligen Hallen und ließen uns darüber informieren, welche Ausstellungen derzeit gezeigt werden… 008

Eine aktuelle Ausstellung lautet Body Luggage – Migration von Gesten. Diese gilt als Hauptschau des steirischen Herbstes und beschäftigt sich mit grenzüberschreitender Migration von Zeichen, mit Körpersprache als kulturelle Ausdrucksform. Wenn Menschen auf der Flucht alles zurücklassen müssen, gilt der Körper als einziges Gepäck. Der Körper wird zum Archiv aller Erfahrungen, Gesten, Erinnerungen und Traditionen. Selbst durch Extremsituationen wie Verfolgung oder Flucht kann dieses immaterielle Archiv nicht verloren gehen…

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Außerdem läuft seit 24.September die Ausstellung Geknetetes Wissen – Die Sprache der Keramik. Das Kunsthaus lenkt den Blick auf einen Werkstoff, der lange Zeit vorwiegend dem Kunsthandwerk zugeschrieben wurde. Zu Unrecht, denn in diesem Material steckt jahrtausendealtes Wissen und eine Geschichte der Kunst, die von Zeitgenossen immer wieder in neue Kontexte gesetzt wurde…

Beide Ausstellungen kann man noch bis Anfang 2017 besuchen. Nähere Infos HIER.

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Aber auch ohne Gemälde und Kunstgegenstände macht unser Kunsthaus einiges her. Das Bauwerk, welches, wie bereits oben erwähnt, 2003 von den Londoner Architekten Peter Cook und Colin Fournier geplant wurde, umfasst eine Ausstellungsfläche von 2500 Quadratmeter. Die Außenhaut unseres „Friendly Alien“ besteht aus Arclyglas und wird auch als Medienfassade genutzt. Der denkmalgeschützte Bestand des Eisernen Hauses wurde von den Planern in das Gesamtkonzept integriert und fügt sich so, trotz seiner ungewöhnlichen, biomorphen Form, in den bestehenden Kontext der Grazer Alltstadt ein. Die obere Galerie wird mittels einer Reihe nach Norden ausgerichteter Tageslichtöffnungen natürlich beleuchtet. Lediglich eine dieser Öffnungen ist tiefer angesetzt und richtet den Blick auf den Grazer Uhrturm. Im Jänner 2013 belegte das Grazer Kunsthaus, das stilistisch der Blob-Architektur zuzuordnen ist, Platz 10 auf einer CNN-Liste der elf bizarrsten Architekturgebäuden in Europa. 017 018 019 020 021 022 023

Nachdem wir uns im Kunsthausshop nach etwaigen Souvenirs für unsere Liebsten in der nahen Heimat umgesehen haben, beschlossen wir, unsere Tour vom Hauptplatz aus fortzusetzen. Dort wo seit Ende des 19. Jahrhunderts unser repräsentatives Rathaus mit Kuppel, Uhr und Ecktürmchen dominiert, kann man ihn schon erspähen, unseren ganzen Stolz. Unseren Grazer Uhrturm. Und als vorbildliche Touristen hieß es für uns somit: Aufi aufn Berg! Doch so vorbildlich wir auch waren, so faul waren wir auch. Als bequeme Alternative zu den 260 Stufen bot sich also der Lift oder die Schlossbergbahn an. Letztere habe ich schon 15 Jahre nicht mehr genutzt, ich war also recht fasziniert von der Seilbahnfahrt, die dank des Glasdaches einen wunderbaren Panoramablick ermöglichte. Mittlerweile waren wir beide schon etwas dem Touri-Modus verfallen. Mir fiel auf, dass ich plötzlich immer häufiger selbst zur Kamera griff und die eine oder andere Attraktion digital verewigen wollte. Ich fühlte mich mittlerweile überhaupt nicht mehr so einheimisch wie sonst. Vielleicht lags auch daran, dass ich tatsächlich Dinge tat, die ich zuletzt vor Äonen von Jahren gemacht habe. Und als wir oben ankamen, da hielt ich etwas inne. Ja, es gibt kaum ein ergreifenderes Ereignis, als so hoch über seiner Stadt zu sein, und ihr in das Herz und in den Kopf zu schauen…

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Unser Grazer Schlossberg ist der Sitz einer im 12. Jahrhundert errichteten Burg, der Graz seinen Namen verdankt. Aus Gradec für „kleine Burg“ wurde später Graz. Da diese Burg nie erobert wurde, ist sie im Guinnes Buch der Rekorde als die stärkste Festung aller Zeiten aufgelistet. Der Schlossberg ist ein Naherholungsgebiet und ein wunderbarer Aussichtspunkt zugleich. Mit seinen 123 Metern Höhe bildet er den höchsten natürlichen Punkt der Stadt.  Im 2. Weltkrieg wurde im Schloßberg ein über 6 Kilometer langes Stollensystem angelegt. Diese Stollen sind zum Teil auch heute noch in Verwendung, sie beinhalten unter anderem den Schloßbergliftdie Märchenbahn, und die Veranstaltungshalle Dom im Berg. Seit 1999 gehört der Grazer Schloßberg mit der historischen Altstadt von Graz zum UNESCO Weltkulturerbe.

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Hier oben schien die Zeit im Fluge zu vergehen. Oder lags daran, dass wir die Zeiger des Uhrturms nicht lesen konnten? Die sind hier nämlich verkehrt, der große Zeiger ist der Stundenzeiger, der kleine der Minutenzeiger. Aber wie dem auch sei, wir mussten uns sputen. Unsere Sightseeing Tour wartete…

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Treffpunkt: Graz Tourismus Information, Herrengasse 16, 8010 Graz
Hier werden täglich Führungen angeboten, und so entschieden wir uns für den klassischen Altstadt-Rundgang, welcher auch unsere letzten Bildungslücken hinsichtlich unserer Heimatstadt füllen sollte. Unser City-Guide hieß Sabine, und gleich mal vorweg, von langweiligem Geschichtsunterricht, war hier keine Spur. Anfangs, als die Frage geklärt wurde, wo wir alle herkämen, sorgte meine Antwort dass ich Grazerin sei noch für Gelächter, aber lediglich die Tatsache dass ich die Stadt rein geografisch kannte, unterschied mich, wie sich später herausstellte, von den anderen Teilnehmern. Wissenstechnisch war ich den anderen nicht wirklich viel voraus. So wusste ich kaum etwas über unseren Landhaushof, den Dom oder unser Mausoleum. Eine Auffrischung tat mir also wirklich gut. Stefan war unterdessen komplett dem Fotowahn verfallen, auch er schien hier einiges an Nachholbedarf zu haben…

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Unsere Tour endete schließlich dort, wo sie auch begann, nahe dem Kunsthaus. Der Tag war einfach überwältigend. Wir haben es von Beginn an geschafft uns wie Fremde in der eigenen Heimat zu fühlen. Fremde, die ganz erpicht darauf waren, eine neue Stadt zu erkunden. Gut, zugeben, wären wir nicht dem einen oder anderen bekannten Gesicht über den Weg gelaufen, wäre das Touri-Feeling vermutlich noch intensiver gewesen, aber das ist nun mal Graz. Hier spielt sich alles auf rund einem Quadratkilometer ab. Unser urbanes Graz zeichnet sich eben auch durch einen gewissen provinziellen Charme aus. Hier rückt einfach alles ein bisschen näher. Das ist es aber, was ich an unserer Heimatstadt so liebe. Mein Fazit also: Wenn einen also wieder mal das Fernweh plagt, der nächste Urlaub aber mangels Zeit oder Geld noch etwas auf sich warten lässt, dann lohnt es sich immer, die eigene Heimat zu erkunden. In diesem Sinne: Viel Spaß dabei!

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Am Ende möchte ich mich noch bei folgenden Kooperationspartnern bedanken:


Esprit
(Danke fürs Einkleiden. Dank euch musste ich trotz des herbstlichen Windes nicht frieren.), Kunsthauscafé (Danke fürs lecker Frühstück, dass uns gestärkt durch den Tag gebracht hat), Tourismus Graz (Danke für die Sightseeing Tour. Spätestens jetzt bin ich davon überzeugt, dass auch jeder Grazer mal daran teilnehmen sollte.), Kunsthaus Graz (Danke für die Chance eure Ausstellungen zu besuchen. Außerdem sind dank euch eine ganze Menge toller Fotos entstanden.), Visit Graz (Danke, dass ihr diesen Beitrag so tatkräftig unterstützt habt.)

UND LAST BUT NOT LEAST:
Stefan von Laying Breadcrumbs (Danke dass du so eifrig hinter mir her geknipst hast. Ich weiß, als mein Schatten hat mans oft nicht leicht. ;))stefan_lind

 

esprit kunsthauscafe logo_graz_tourismus visitgraz layingbreadcrumbs

 

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Der Blogbeitrag befasst sich mit heimischen Kinderspielzeugproduzentinnen und – produzenten. Vom charmanten Häkler „Herr Wolle“ bis zu den bezaubernden steirischen Holzpferden der Familie Ambros und den lehrreichen Kinder-Gedächtniskarten von Carmen Cordial. Die Vorstellung des Grazer Vereins „Klara Kühn – Verein zur Förderung von Chancengleichheit“ und der Kinderbuchautorin Helga Bansch komplettieren den Artikel. Zusätzlich gesellen sich zu den steirischen Herstellerinnen und Herstellern die Wiener Puppenmacherin Barbara Langl, die Kontrastkartenhersteller „HANNIline“ aus Wien und der Holzspielzeugproduzent Simon Prechtl aus Oberösterreich.

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